Kann eine Retina-Untersuchung das Herz-Kreislauf-Risiko anzeigen?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Hauptursache für Mortalität und Invalidität global. Während dies in westlichen Ländern rund 45 % der Todesfälle ausmacht, ist eine solche Erkrankung in Entwicklungsländern Todesursache bei rund 25 % der Menschen. Daher untersuchten Forscher nun eine nichtinvasive Befundmethode, um kardiovaskuläre Risikopatienten eventuell einfacher zu identifizieren.


Herz-Kreislauf-Erkrankung:


Dem Herz-Kreislauf-System stehen rund 100.000 Kilometer Blutgefäß-Gesamtlänge zur Verfügung, um der wichtigen Funktion nachzugehen und alle menschlichen Körperzellen jederzeit mit ausreichend Sauerstoff und anderen Nährstoffen zu versorgen. Dabei kann eine koronare Herzerkrankung unterschiedliche Ursachen haben, wobei der Hauptgrund eine Arteriosklerose (d.h. Gefäßverengung bzw. -verkalkung) ist. Zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen:

  • Angina Pectoris
  • Bluthochdruck
  • Herzinfarkt
  • Herzschwäche
  • Schlaganfall


Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren könnten laut Untersuchungen das Risiko eines Herz-Kreislauf-Ereignisses durch Änderungen im Lebensstil bzw. durch zusätzliche Medikamente minimieren. Jedoch bleibt die Erkrankung nach wie vor bei vielen Betroffenen unerkannt und kann dadurch zu schweren Folgen wie einem Schlaganfall oder Infarkt führen.


Identifizierung durch Netzhautuntersuchung:


Dabei kann eine Identifizierung von Biomarkern (d.h. messbare Kenngrößen biologischer Prozesse) in der Retina für leicht verlaufende Ischämie helfen, Personen mit noch nicht erkannten kardiovaskulären Krankheiten leichter zu erkennen.
Die menschliche Retina, oder auch Netzhaut genannt, ist ein mehrschichtiges Netzgewebe, dass die Innenseite des Auges bedeckt. Bei kleineren Infarkten werden einzelne Stellen der mittleren Netzhaut verkrümmt. Während eines Verschlusses der Kapillaren in der Retina, kommt es in der inneren Körnerschicht zu einer Verdünnung und in der äußeren Körnerschicht an derselben Stelle zu einer Verdickung. Diese Änderung wird laut Forschern als RIPL bzw. Retinal Ischemic Perivascular Lesions bezeichnet.
Zurzeit können schon nichtinvasive Bildgebungsmethoden verwendet werden, mit denen einzelne Netzhausschichten direkt sichtbar gemacht werden können. Dazu gehört auch die sogenannte optische Kohärenztomographie im Spektralbereich, kurz SD-OCT, mit der Anomalien in der Region sichtbar gemacht werden können, welche auf eine Ischämie hinweisen könnten.
Forscher haben daher untersucht, ob ein solcher Bildbefund auf eine RIPL hinweisen kann und demnach messbarer Parameter für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein könnte.


Studienmethode:


Die im März 2021, in dem Medizinjournal EClinicalMedicine publizierte Untersuchung überprüfte die Aufzeichnungen von 13.940 Personen zwischen Juli 2014 und Juli 2019. Nach strengen Ausschlusskriterien wurden die Daten von 160 Patienten genauer untersucht.
Bei diesen Personen wurde eine OCT Untersuchung der Makula durchgeführt. Dies ist ein mittlerer Teil der Netzhaut mit der dichtesten Anordnung der Sehzellen. Nach Analyse der Krankenakten wurden die untersuchten Probanden in zwei Gruppen eingeteilt:

  • Personen mit dokumentierten kardiovaskulären Erkrankungen: Bei einer Koronaren Herzkrankheit oder einem diagnostizierten Schlaganfall wurden untersuchte Personen in die Herz-Kreislauf Gruppe eingegliedert.
  • Gesunde Kontrollpersonen: Die Kontrollgruppe beinhaltete Probanden ohne jegliche kardiovaskuläre Erkrankung bzw. Diabetes mellitus Typ 1 oder 2 oder Lungenerkrankung.


Beide Gruppen verzeichneten keine störenden Netzhauterkrankungen.
Die durchgeführten OCT-Untersuchungen wurden auf Indikationen von RIPL analysiert. Zusätzlich dazu wurde ein 10-Jahre-Risikokalkulator für kardiovaskuläre Erkrankungen benutzt, um die Betroffenen in vier unterschiedliche Risikokategorien einzuteilen.


Resultate:


Unter den Probanden waren 84 Patienten mit dokumentierten kardiovaskulären Erkrankungen. Bei 47 davon wurde 1 RIPL, bei 31 schon 2 RIPLs und bei 25 Patienten sogar 3 RIPLs gefunden. In der Kontrollgruppe mit 76 gesunden OCT Kontrollen zeigten sich RIPLs nur ausnahmsweise.
Demnach hatten Probanden mit dokumentierten Herzerkrankungen im Vergleich zur Kontrollgruppe eine höhere Anzahl von RIPLs.
Auch das berechnete 10-Jahrs-Risiko auf ein zukünftiges kardiovaskuläres Risiko korrelierte mit den kleinen Infarkten in der Retina. Demzufolge hatten Probanden mit einem mittleren Risiko von 7,5 - 20 % bis zu 70 % mehr RIPL im Bildbefund – bei einem Risiko von über 20 % war das Risiko um den Faktor 2,9 noch höher.


Fazit:


Biomarker für schon überstandene, kleinere ischämische Netzhautinfarkte – auch RIPL genannt – deuten laut Forschern auf eine aktuell vorhandene kardiovaskuläre Erkrankung hin. Dadurch könnte der Analyse zufolge eine Routineuntersuchung der Retina eine zusätzliche Hilfe für die frühzeitige Erkennung von Personen mit erhöhten Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung sein. So könnte ein bestätigter Befund einen Augenarztdazu veranlassen, die betroffene Person zum Internisten oder einem Kardiologen weiterzuleiten.

 

Quellen:

Christopher P. Long, Alison X. Chan, Christine Y. Bakhoum, Christopher B. Toomey, Samantha Madala, Anupam K. Garg et al. Prevalence of subclinical retinal ischemia in patients with cardiovascular disease – a hypothesis driven study. EClinicalMedicine. March, 2021.


https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Nicht-uebertragbare-Krankheiten/Herz-Kreislauf-Krankheiten.html


https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/Herz-Kreislauf-Erkrankungen?s=&p=1&n=1&r=me&nid=121754